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Dunkles Kapitel der Stadtgeschichte findet ein berührendes Ende

Datum: 18.03.2024

Der Australier Ronald Colman, Nachfahre des von den Nazis vertriebenen AEG-Werkdirektors Ernst Blaschke, besucht Hennigsdorf

Ein Stück Zeitgeschichte wurde am Montag, 18. März 2024, in Hennigsdorf geschrieben. Ronald Colman aus Sydney, Jahrgang 1947, besuchte erstmals die Havelstadt. Sein Großvater Ernst Blaschke war Werkdirektor in der AEG, die Mutter Liesel Blaschke besuchte wie ihre drei Jahre jüngere Schwester Ursel das Reform-Realgymnasium, das heutige KreativWerk R6. 1933 wurden die Mädchen aus der Schule abgemeldet, die jüdische Familie musste aus Hennigsdorf vor dem Nationalsozialismus fliehen. Ronald Colman, legte nicht nur an den Stolpersteinen in der Neuendorfstraße 46 eine Rose nieder. Er zeigte sich emotional und tief bewegt, an die Spuren seiner Familie zurückzukehren. „Ich kannte die Stolpersteine nicht, für mich war deren Existenz neu. Aber den Gedanken finde ich sehr gut, über die Geschichte zu stolpern“, betonte der Buchautor und Wissenschaftler.

Im Rahmen einer Festveranstaltung würdigte Bürgermeister Thomas Günther die Bedeutung dieses besonderen Besuches. Endlich gäbe es Antworten auf die drei Fragezeichen, die in die Stolpersteine der Familie Blaschke geprägt sind. „Späte, doch gute Antworten, denn Ihre Familie hat den Holocaust überlebt und in Australien eine neue Heimat gefunden“, so Thomas Günther, der an die Verpflichtung erinnerte, die sich daraus für alle Hennigsdorferinnen und Hennigsdorfer ergibt. Das finstere Kapitel der Stadtgeschichte, das vor allem der Historiker Dr. Helmut Fritsch erforscht hatte und der auch das Verlegen der Stolpersteine anregte, wurde um einen neuen Abschnitt ergänzt. Denn wie Ronald Colman berichten konnte, siedelte die Familie nach der Emigration über Spanien, Italien und Deutschland in Australien neu. Obwohl – wie er betonte – vor allem Großvater Ernst im Herzen immer Deutscher blieb.

Colman selbst lebte in vielen Nationen, darunter in Bhutan, Indien und den USA, er lehrte an Universitäten und schrieb ein Buch über nachhaltiges Wirtschaften, das auch auf Deutsch verlegt wurde. Er sei ein Weltenbürger, der betonte, dass man nicht im Alten verhaftet bleiben dürfe, sondern sich der Realität stellen müsse. „Wir haben nur diese eine Erde, nur diese eine Welt.“ Im Herzen bleibe er ein Flüchtling, sagte der Australier.

Er trug sich ins Goldene Buch der Stadt ein und versicherte, gern wiederzukommen. Auch die Werksleiterin von Alstom, Isabell Caron, quasi Nachfolgerin von Ernst Blaschke, war in Hennigsdorf mit dabei. Sie lauschte ebenso wie die Witwe von Helmut Fritsch, Renate Fritsch, den Erzählungen des Nachfahren aus der jüdischen Familie Blaschke. So berichtete Colman von seiner Großcousine Beate Beer, die heute 95-jährig noch vieles erzählen kann. Als Tochter des Architekten Alexander Beer, der in der Pogromnacht zusehen musste, wie die von ihm entworfene Synagoge in Berlin-Kreuzberg in Flammen aufging und von dem bis heute zahlreiche Bauwerke in Berlin existieren, hatte sie die Flucht und Verfolgung hautnah miterlebt. Sie wurde mit einem Kindertransport gerettet, Beer selbst wurde 1944 in Theresienstadt ermordet.

„Wir haben viel mehr gemeinsam als uns trennt“, sagte Ronald Colman. Er besuchte das KreativWerkR6 – im Foyer erinnert eine Namenstafel an die Blaschke-Mädchen. Der Gast staunte nicht schlecht über das moderne Haus für die Wissenschaft. Was den Besucher auf seiner Reise durch die Welt umtreibt, fasste er noch so zusammen: „Unsere gemeinsame Heimat ist der Planet Erde.“